Öl auf Flachsleinen, 220 x 170 cm
Für die Kunst von Mireille Gros (*1954 in Aarau, lebt in Basel und Paris) spielt die Natur in all ihren Formen eine wichtige Rolle. Gros‘ Zeichnungen, Bilder, druckgraphischen Werke und Videos thematisieren die Natur, wie auch die Biodiversität, die Nachhaltigkeit und das Recycling.
Das Bild Umsteigen in Abobo Doumé / Changer à Abobo Doumé entsteht im Jahr 1993 nach einem Aufenthalt der Künstlerin im Parc national de Taï in der Elfenbeinküste, im letzten Primärwald Westafrikas. Diese Reise, die sie eine reichere Natur als die unsrige entdecken lässt – eine Kostbarkeit, die in ihrer scheinbaren Unzerstörbarkeit doch so fragil und bedroht ist – löst etwas in ihr aus. Sie realisiert, dass die Natur, wie sie sie in diesem Moment erlebt, nicht ewig Bestand haben wird, denn jeden Tag gerät sie mehr aus ihrer Balance. Diese Erkenntnis veranlasst Mireille Gros dazu, eine eigene Pflanzenspezies mit fiktiven Pflanzen zu kreieren, um zumindest symbolisch eine Art Gleichgewicht zu schaffen. Es entsteht das The Fictional Plant Biodiversity Project, ein „Lebensprojekt“ von Gros, für das sie einen imaginären, biodiversen Pflanzenkosmos erschafft. Der Besuch im Urwald von Westafrika ist für die Künstlerin ein Offenbarungserlebnis und macht das Gemälde Changer à Abobo Doumé zu einem Schlüsselwerk. Wie die Natur, so ist auch das Vorgehen von Gros offen und lässt sich von keinem Konzept, keiner Theorie, oder bestimmten Idee leiten. Keine der entstandenen Vorstellungen wird während des gesamten Entstehungsprozesses je verworfen. Alles bleibt möglich und offen für Veränderungen und Einflüsse durch die Natur oder menschliche Verhaltensweisen. Der Künstlerin steht somit das gesamte Potenzial jedes Moments zu Verfügung. Gros beschreibt ihre Arbeit als „ein Gleiten von einem Universum ins andere, ein Eintauchen in die Arbeit, ein zweckfreies Vorgehen, ein Geschehen und Geschehen lassen…“. Auch dieses Bild entsteht auf diese Weise. Der Titel, der die Erfahrung der Künstlerin in Afrika reflektiert, entspricht der Antwort „Changer à Abobo Doumé“, die sie auf Ihrer Durchreise wiederholt zu hören bekommt, wenn sie nach dem Weg fragt. So ist Abobo Doumé ein wichtiger Knotenpunkt in Westafrika.
Das Gemälde hat ein grosses Format (220 x 170 cm), das dazu beiträgt, dass beim Herantreten das Gefühl entsteht, an einer Schwelle zu stehen, um dann in die Natur einzutauchen. Die Farben, auf deren Nuancierung die Künstlerin grossen Wert legt, bewegen sich zwischen den für Mireille Gros typischen Grün-, Braun-, Blau- und Violetttönen. Die vorherrschenden Grün- und Grautöne legen eine Art Grundteppich aus. Aufgebrochen wird dieses Bildgewebe durch die bewusste Setzung und Paarung von Grund- und Komplementärfarben. Das Bild beginnt dadurch zu leuchten und gerät in einen Schwebezustand. Filigrane Linien und organische Strukturen heben sich wie abstrakte Silhouetten aus dem Hellgrau und Anthrazit ab. Stellen sie Bäume, Blumen, Blätter oder Himmel dar? Die Interpretation bleibt den Betrachtenden überlassen. Die Ölfarbe, für deren Herstellung Gros zum Teil selbst angeriebene, natürliche Pigmente verwendet, ist grob auf der Leinwand aufgetragen. Der Farbauftrag erhebt sich reliefartig und wirkt bei näherer Betrachtung wie die Rinde der uralten Bäume oder wie die Blätter und Blumen, die die Künstlerin im Nationalpark gesehen hat. Das Gemälde führt uns mit seinen Farben, Formen und Linien in eine entfernte und fremde Welt und bringt uns gleichzeitig ein bisschen näher an unser Bewusstsein für die Natur.
Sara Virchaux