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Roman Signer, Velo (2-teilig), 2006
Fass, Fahrrad zersägt, 87.5 x 59.5 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Schenkung des Künstlers
Copyright: Roman Signer

Roman Signer (*1938) kennt man vor allem als Aktionskünstler: wo er auftritt sausen Fahrräder durch den Raum, fliegen Raketen in die Luft, gehen Tische wie angeschossene Tiere in die Knie oder zerschellen Helikopter in qualvollem Todeskampf. Er selbst bezeichnet sich als Bildhauer, und seit den frühen 1970er-Jahren arbeitet er konsequent an einer Erweiterung des klassischen Skulpturbegriffs. Mit der Kategorie der Zeit hat er die dreidimensionale Skulptur um eine entscheidende Dimension erweitert, und es ist denn auch dieser prozesshafte Charakter, der seine zahlreichen plastischen Werke miteinander verbindet.

Für seine Aktionen – Signer selbst spricht bezeichnenderweise von „Ereignissen“ – schafft er bestimmte Anordnungen von Objekten und Materialien und tüftelt ein Setting aus, das um die in den Dingen liegenden Kräfte weiss und sie gezielt einsetzt. Diese Anordnungen erfahren dann in oft explosiven, immer jedoch mit den elementaren Kräften Feuer, Wasser, Luft oder Erde operierenden Aktionen eine Veränderung ihres ursprünglichen Zustandes. Die plastischen Ereignisse spielen sich in der Zeit ab; was danach von ihnen zeugt, ist einerseits deren fotografische oder filmische Abbildung, sind aber anderseits auch Skulpturen und Installationen, die gewissermassen als Relikte dieser Handlungen zurückbleiben und als solche auf sie verweisen. Diese Relikte tragen die Spuren ihrer Entstehung in sich; oft sind Kräfte und Energien spürbar, die während der Aktion freigesetzt wurden. Das Ereignis spielt sich somit nicht vor unseren Augen ab, sondern verlagert sich, vom anschaulichen Objekt ausgehend, in unsere Vorstellung.

Roman Signer nutzt dieses imaginative Potential auch dann, wenn er die Geschichte sozusagen vom anderen Ende her aufrollt und ganz auf die Aktion verzichtet. Der Künstler schafft eine präzise Skulpturenanordnung, die gleichsam energetisch aufgeladen auf mögliche Zustandsveränderungen hinweist. Der Betrachter wird dazu aufgefordert, sich den Ablauf des Geschehens, das in Aktion Treten der Kräfte, vorzustellen und so dem Nacheinander von Aktion und Reaktion in seiner Imagination eine skulpturale Form zu verleihen. Die Skulptur „Film für einen Fluss“ (vgl. Inv.-Nr S 5374) besteht aus einem Metallstativ, einer Filmrolle mit eingelegtem Film und einem daran befestigten Holzbalken und appelliert in der eben beschriebenen Weise an die Vorstellungskraft des Betrachters: Würde man den Holzbalken in einen Fluss werfen, er würde von dessen Strömung mitgerissen, die Filmrolle würde sich lösen, und der Film beginnen…

Auch wenn die Verlagerung des Ereignisses in die Gedankenwelt des Betrachters an künstlerische Verfahren der 1960er-Jahre, insbesondere an die Prinzipien der Konzeptkunst erinnert, geht Roman Signer mit seinen Arbeiten doch seinen ganz eigenen Weg. Er verzichtet nicht auf die materielle Ausführung seiner Werke, sondern bedient sich eben gerade der Anschaulichkeit und der sinnlichen Qualität elementarer Gegenstände und Materialien. Neben seinen plötzlichen, lauten, spektakulären oder auch leisen, immer Kraft, Zeit und Bewegung thematisierenden Ereignissen hat der Künstler in den letzten Jahren mit einem präzise gewählten Repertoire an Gegenständen auch stille, poetische und unbewegte Objektkonstellationen geschaffen. Es handelt sich dabei um Werke, die zwar in ähnlicher Art und Weise in den Vorstellungsraum des Betrachters ausgreifen wie die beschriebenen Anordnungen, die aber nicht direkt an die Aktionen des Künstlers gebunden sind. Zu diesen Skulpturen gehört auch die Arbeit „Velo (2-teilig)“, die als Schenkung des Künstlers in die Sammlung des Kunsthauses eingegangen ist und die bereits bestehende Werkgruppe aufs Schönste erweitert.

Bei diesen Objektkonstellationen bedient sich Signer eines Formenvokabulars, das er kaum erweitert, sondern das einem Alphabet gleich immer neue Kombinationen eingeht: Es sind dies alltägliche Gegenstände wie Stühle, Tische, Eimer, Koffer, oder wie in der Skulptur „Velo (2-teilig)“ das (zerlegte) Fahrrad und das Fass, Gegenstände, die einerseits Signers eigener Erlebniswelt entspringen, anderseits auch uns in ihrer Alltäglichkeit vertraut sind. Diese Skulpturen irritieren durch die Poesie und den Witz der eigentlich unmöglichen, absurden Konstellationen, sie sensibilisieren unsere Wahrnehmung, indem gerade in der überraschenden Anordnung – in „Velo (2-teilig)“ wird das Fass zur „Konservendose“ umfunktioniert – die den Gegenständen innewohnenden Eigenschaften zutage treten. Allein durch deren präzise Setzung öffnet sich ein semantischer Raum, der das ganze Signersche Universum zu umfassen scheint, ein Universum, das Melancholie und Tragikomik ebenso beinhaltet wie Paradoxon und Absurdität.

Barbara von Flüe

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