Öl auf Leinwand, 100.8 x 141.7 cm
Der in Basel geborene Maler, Zeichner, Grafiker und Bildhauer Arnold Böcklin (1827–1901) zählt zu den bedeutendsten Künstlern des 19. Jahrhunderts. In den 1890er-Jahren steigt er zu einer Kultfigur auf und erlebt bereits zu Lebzeiten einen so grossen Ruhm, dass der Besuch seines Ateliers in Florenz für Bildungsreisende in Italien zum Pflichtprogramm gehört. Sein Studium an der Düsseldorfer Akademie beendet Böcklin bei dem Landschaftsmaler Johann Wilhelm Schirmer (1807–1863). Böcklin ist ein führender Vertreter der sogenannten Deutschrömer – ein Kunstkreis deutscher Künstler in Rom, die in ihren Werken das Ziel verfolgen, das antike Erbe wiederzubeleben. In diesem Kontext lässt sich Böcklins Bildsprache im Gedankengut der Romantik und des deutschen Idealismus verorten.
Die dunkeltonige, reduzierte Farbigkeit unterstützt die ernste Grundstimmung der vorliegenden querformatigen Landschaftsdarstellung. Vom rechten unteren Bildrand erhebt sich die im Titel erwähnte Ruine auf einer felsigen Anhöhe am Meeresufer. Von dem einstigen Bauwerk sind noch eine Wand mit einem Rundbogenfenster, Mauerreste und ein eingefallenes Gewölbe erkennbar. Die Verlassenheit des Ortes wird unterstrichen durch die überwuchernde Natur und den über der Insel kreisenden Vogelschwarm. Der von Wolken verhangene Himmel reisst an einzelnen Stellen auf und erhellt die sanft heranrollenden Wellenkämme.
Mit der Ruine greift Böcklin eine Metapher für die Vergänglichkeit auf, die seit der Renaissance in Italien entwickelt und besonders in der niederländischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts aufgegriffen wurde. In der Romantik wird sie zum allgemein verbreiteten Topos. Der unaufhaltsame Zerfall alles Irdischen zieht sich von der „Burgruine“ (1847) bis zur „Kapelle“ (1898) als Konstante durch Böcklins Œuvre. Im vorliegenden Werk erhält die Übermacht der Natur durch die immergrünen Zypressen weiteres Gewicht. Charakteristisch für Böcklins künstlerische Methode ist die Ausarbeitung eines Bildgedankens in mehreren gemalten Versionen. Der Bildgegenstand wie auch die Komposition von „Ruine am Meer“ stehen in enger Verbindung zu den verschiedenen Fassungen der „Villa am Meer“ und der „Toteninsel“, dem wohl bekanntesten Sujet Böcklins. In den 1880er- und 1890er-Jahren entstehen ausgehend vom Gemälde „Ruine einer Villa am Meer“ (1878/80, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt) eine ganze Reihe von Varianten des Themas.
Böcklin erfüllt mit der dramatischen Lichtführung und dem intensiven Kolorit sein Streben nach einer stimmungsvollen Malerei. Er überlässt seine Werke dem subjektiven Erleben der Betrachter und regt diese an, nach dem dahinterliegenden Sinn suchen. Insbesondere für die Künstler des Symbolismus und des Surrealismus bilden Böcklins geheimnisvollen, scheinbar ausserhalb der Naturgesetze stehende Kompositionen eine Inspirationsquelle für eigene Schöpfungen.
Karoliina Elmer