
Dispersion auf Papier, 149 x 213 cm
Leiko Ikemura ist 1951 in Japan geboren. Sie studierte spanische Literatur und Kunst. Um 1979 zog sie in die Schweiz. Heute lebt sie in Berlin, wo sie bis 2015 eine Kunstprofessur innehatte. Ikemuras Pendeln zwischen der asiatischen und der europäischen Kultur zeichnet sich in ihren Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen ab. So bringt sie philosophische und visuelle Traditionen aus beiden Welten zusammen.
Der Einfluss traditioneller japanischer Malerei und Dichtung zeigt sich in ihrer Beschäftigung mit dem Reich des Unfassbaren. Die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen bezeichnet die Gemälde der Künstlerin auch als «Schwellenbilder», welche diffuse Übergänge zwischen Licht und Schatten, Tag und Nacht schildern. An der Grenze horizontaler Linien, wie auch im Strudel verzahnter Pinselstriche manifestieren sich Orte des Dazwischen. An diesen Stellen verortet Ikemura ihre Figuren. Als Individuen lassen sich diese schwer greifen, scheinen in der pastellenen Umgebung aufzugehen.
In dem vorliegenden Werk versucht eine geisterhafte Figur mit überlangen Armen die Schemen einer Gestalt vehement festzuhalten. Wenngleich die Figuren mit schwarzen Rändern umrissen sind, bleiben ihre Körper und Gesichter vage, identitätslos. Wo kommen sie her und wohin gehen sie? Oder besser: wohin werden sie gezogen – scheint sie der wolkige Umraum doch regelrecht mitzureissen. Indem die Künstlerin Gefühle rund um Sein und Nicht-Sein, Fremdsein und Zerrissenheit weckt, knüpft sie gleichsam an westliche Existenzphilosophien an.
Julia Schallberger, 2022