Öl auf Leinwand, 49 x 64.8 cm
Das vornehmlich in blauen Pastelltönen gehaltene Ölgemälde von Ferdinand Hodler (1853–1918) gibt den Blick auf eine Seenlandschaft frei. Die Horizontale beherrscht das Bild. Nur am unteren Bildrand erinnert die mit erdiger Farbe dargestellte Uferzone noch an eine realistische Landschaft. Die über die ganze Bildbreite gezogenen blauen, weissen und grünen Striche deuten in vereinfachter Streifenform Wasseroberfläche, Jurakette sowie Himmel an und lassen sich topografisch nicht genau bestimmen. Vielmehr ordnet sich die Darstellung einem Rhythmus der Komposition unter. Vor allem die ornamental gruppierten Wolken über der Gebirgskette und am oberen Bildrand führen ein formales Ordnungsprinzip vor Augen.
In den 1890er-Jahren entdeckt Hodler die Symmetrie und die Wiederholung als Kompositionsprinzipien von Landschafts- und Figurenbildern für sich. Das Motiv der Landschaft am Genfersee mit seinen naturgegebenen Horizontalen greift Hodler unzählige Male auf. In seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten wird das Sujet immer wichtiger und bildet schliesslich einen Höhepunkt seines Schaffens. In „Landschaftlicher Formenrhythmus“ wirkt die horizontale Gliederung in übereinanderliegende Bildzonen und in rhythmisch aufeinanderfolgende Wolkenformen am hohen Himmel wie die unmittelbare Umsetzung von Hodlers Theorien des Parallelismus. In einem Vortrag von 1897 formuliert er seine wichtigste bildnerische Konzeption: „Parallelismus nenne ich jede Art von Wiederholung. So oft ich in der Natur den Reiz der Dinge am stärksten verspüre, ist es immer ein Eindruck von Einheit.“ Anschliessend erläutert Hodler Beispiele, wie die vertikalen Stämme in einem Wald die unzähligen Löwenzahnblüten einer Wiese, bei deren Anblick er „einen Eindruck von Einheit empfinde, der in Entzücken versetzt. Ich bemerke, dass die Wirkung grösser sein wird, der Eindruck stärker, als wenn sich eine Mischung von Blumen da vor uns ausbreitet, die in Farbe und Form verschieden sind.“ Im vorliegenden Bild reduziert Hodler das Ufer, die Wasseroberfläche, das Gebirge mit seiner Spiegelung und den Himmel auf bildflächenparallele Streifen. Er will mit den Wiederholungen und Vereinheitlichungen die Intensität des Werks verstärken: „Denn über allen Werkzeugen des Sehens steht das Gehirn. Es vergleicht die eine Harmonie mit der anderen und entdeckt so die wirklichen inneren Zusammenhänge der Dinge. Aus dieser Tätigkeit des Gehirns zusammen mit den Erfindungen des Herzens werden neue Herrlichkeiten geboren. Das Kunstwerk wird eine neue Ordnung offenbaren, die den Dingen innewohnt, und das wird sein: die Idee der Einheit.“
Mit „Einheit“ bezeichnet Hodler die in der Natur verborgene Ordnung, die er in bildnerische Komposition umsetzen will. Denn „es ist die Mission eines Künstlers, dem Unvergänglichen der Natur Gestalt zu geben, ihre innere Schönheit zu enthüllen.“ Obwohl Hodler die Theorie des Parallelismus aus Beobachtungen in der Natur herleitet, tendiert die parallelistische Gestaltung über die Stilisierung des Dargestellten in Richtung Abstraktion und Konstruktion. In „Landschaftlicher Formenrhythmus“ – bereits im Titel manifestiert sich Hodlers Wille zur Abstraktion – setzt der Künstler die Seenlandschaft in ein Spiel rhythmischer Formenbeziehungen um und entfernt sich von seinem Vorbild der Natur. Zusätzliche Verstärkung erhalten die abstrakten Formenmuster durch die Reduktion der Farbpalette.
Karoliina Elmer