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Dieter Roth, P.O.TH.A.A.VFB. (Portrait of the Artist as Vogelfutterbüste), 1969
Gussfigur aus Vogelfutter, Schokolade auf Sperrholz unter Plexiglas, 21 x 14 x 12 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau / Depositum der Sammlung Andreas Züst
Copyright: Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth

Selbstbildnisse sind in fast allen Schaffensphasen des Künstlers Dieter Roth (1930–1998) zugegen. Sie werden mit bildnerischen Mitteln in Zeichnungen, Objekten, Filmen und Fotografien erzeugt oder in autobiografischen Texten ausgearbeitet. Manchmal ironisch, oft auch unerbittlich werfen sie Schlaglichter auf Roths Person, auf sein Tun sowie seinen Alltag und verweisen damit auf dessen Auffassung von Kunst und Leben als ein untrennbares Ganzes. Das Aargauer Kunsthaus widmet diesem Aspekt in Roths Schaffen 2011 eine umfassende Ausstellung mit dem Titel „Selbste“. Auch im Bestand an Roth-Werken in der Sammlung des Kunsthauses bildet das Selbst ein wiederkehrendes Thema.

In den 1960er-Jahren beginnt Roth, mit verderblichen Materialien zu arbeiten, unter anderem mit Schokolade. Einen ersten Höhepunkt bilden die Schokoladenfiguren der späten 1960er-Jahre, wovon „P.O.TH.A.A.VFB. (Portrait of the artist as Vogelfutterbüste)“ aus dem Jahr 1968 eine der bekanntesten ist. Ein Exemplar des Multiples, das der Künstler in einer Auflage von dreissig Stück herstellt, findet über das Depositum der Sammlung Andreas Züst Eingang in die Kunsthaussammlung. Roth muss in der umfangreichen Sammlung des Künstlers und Naturwissenschaftlers Züst eine Sonderstellung eingenommen haben. Gerade das vorliegende Selbstbildnis soll in Züsts täglichem Umfeld sehr präsent gewesen sein.

Die Porträtbüste ist aus Schokolade und Vogelfutter gegossen und auf einer Holzplatte montiert. Wird sie heute museumskonform unter Plexiglas präsentiert, so war ihr ursprünglich ein Dasein im Freien bedacht. Auf einem Stock befestigt, sollte sie im Garten aufgestellt werden und passierenden Vögeln Nahrung bieten, bis nichts mehr von ihr übrig bliebe. Vergänglichkeit und Morbidität sind auch auf motivischer Ebene das Thema. Der Titel der Arbeit nimmt Bezug auf James Joyce’ Roman „Portrait of the artist as a young man“, den Roth der Überlieferung nach aber kitschig und rührselig findet. Als Reaktion darauf entwirft er diese Büste, die ihn selbst, gerade einmal 38 Jahre alt, als alten, glatzköpfigen Mann zeigt. Der Zersetzungsprozess, den das Material durchläuft, wird somit auf den eigenen Körper projiziert. Gleichzeitig bricht Roth auch mit dem Mythos des genialen, einzigartigen Künstlers. Zwar bemüht er mit der Dichterbüste eine klassische Gattung der Künstlerverehrung, führt sie aber ad absurdum, alsbald sich ein Vogel Kerne pickend am Künstlerabbild zu schaffen macht.

Der beschriebene Topos des Vergänglichen hat in Roths Selbstporträts Bestand. Selbst als er zu Beginn der 1970er-Jahre kaum noch verderbliche Materialien verwendet und sich vermehrt Malerei, Zeichnung und Druckgrafik widmet, verfolgen seine Porträts das Ziel, die eigene Person zum Verschwinden zu bringen. In der Sammlung des Kunsthauses zeugt hiervon das „Selbstporträt als Loch“ (1973–1975, Inv.-Nr. 3339), das wie „Portrait of the artist as Vogelfutterbüste“ keine authentische Form von Selbstdarstellung aufweist.

Yasmin Afschar

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