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Silvie Defraoui, Palissades (H250), 2000
Farbabzüge auf Ilfochrom, Schwarzweissabzüge auf Barytpapier, je 250 x 32 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau
Copyright: Silvie Defraoui
Fotocredit: Silvie Defraoui

Als ein „Versuch, Welt zu ‚entbergen‘, das heisst unter dem visuellen Geröll der medialen Gesellschaft etwas sichtbar zu machen“ wurde der Weg, den Silvie (*1935) und Chérif Defraoui (1932–1994) zu Beginn der 1970er-Jahre eingeschlagen haben, von Daniel Kurjakovic in der Kunstzeitschrift „Parkett“ einmal charakterisiert. Seit dem Tod ihres Partners verfolgt Silvie Defraoui diese Archäologie der Gegenwart im Rahmen ihres Langzeitprojekts „Archives du futur“ alleine weiter, immer in der Hoffnung, anhand von Fragmenten Zugang zu tiefer liegenden Verbindungen und Wahrheiten zu gewinnen.

Auf die Werkgruppe der „Palissades“, deren Titel übersetzt Palisade oder Bretterzaun bedeutet, ist dieser Wunsch nach Durchblick geradezu wörtlich übertragbar. Anknüpfend an die mosaik- oder balkenartig arrangierte Reihe „Dans le cadre des histoires“ (1996¬–1999), wo Nahaufnahmen von Pflanzen als Rahmenmotive für Landschaftsansichten oder Ausschnitte von Ornamentfussböden dienen, nimmt Silvie Defraoui solche Kombinationen 1997 erstmals auch vertikal vor. Diese erste 25-teilige Palisaden-Serie erweitert sie drei Jahre später für ihre Einzelausstellung im Zürcher Helmhaus um eine Variante, deren Bildfelder etwas grösser sind und anstelle von beidseits gekerbten Schmalseiten einen einseitig schrägen Zuschnitt aufweisen. Aus dieser zweiten, ebenfalls 25-teiligen Serie stammt der vorliegende, 2013 erworbene Fünferblock. Die Elemente, von denen jedes nochmals zweigeteilt ist, sind so zu hängen, dass zwischen ihnen schmale Leerflächen verbleiben – ein Paradox, da die Leerstellen den Blick im Unterschied zu einer echten Zaunlücke nicht in die Weite, sondern auf die Wand lenken, auf der die Arbeit montiert ist. Es geraten also quasi der Innenraum und mit ihm das System Museum in den Fokus. Umgekehrt sind die Bildfelder respektive Zaunlatten, um in der Metapher zu bleiben, als Ausblicke in eine scheinbar unverfälschte, paradiesische Vegetation gestaltet. Üppig wuchernde Tropenpflanzen finden sich ebenso wie im Wind wogende Gräser, unprätentiöse Winden treffen auf Rhododendren. Angesichts der getrennt präsentierten Arten ist aber erneut Skepsis geboten, ist das Paradies doch weder ein Ort von Monokulturen noch ein säuberlich systematisiertes Herbarium.

Defraouis Bilderzaun ist eine doppelte Grenze. Formal verweist er auf die gewohnte Funktion eines solchen Konstrukts, die Separierung eines Hier und Dort. Inhaltlich markiert er hingegen die Trennlinie zwischen Kunst und Natur, eine Linie, die freilich nicht ganz sauber gezogen ist, sondern dadurch, dass die üblicherweise blickdichten Partien die Sicht geradewegs auf das sonst dahinter Verborgene freigeben, invertiert in Erscheinung tritt. Dieser Kunstgriff geht Hand in Hand mit dem Nachdenken über die Natur der Fotografie. Nicht den Gegenstand selbst, hier also die jeweilige Pflanze, sondern ein Abbild davon geben uns Fotografien zu sehen. Diese Künstlichkeit findet ihr Echo zum einen im Umstand, dass Silvie Defraoui die Motive teils auf Barytpapier, teils auf Ilfochrom – ein von der Firma Ilford konfektioniertes Positivpapier zur direkten Herstellung hochwertiger Farbabzüge nach Dias – hat vergrössern lassen. Dabei mied sie bei Letzteren die Naturfarben zugunsten von Braun-, Blau- und Sepiatönen: Schattierungen, die in die Zeit vor dem Aufkommen der Farbfotografie zurückreichen und mittels Tonung erzielt wurden. Sowohl in Schwarzweiss als auch in Farbe öffnet sich also eine – nostalgisch poetisierte – Kluft zum realen Sehen. Zum anderen gelangt die Künstlichkeit auch im speziellen Zuschnitt und der entsprechend aufwändigen Rahmung der einzelnen Teile zum Ausdruck. Obschon weit weniger kompliziert als bei den polygonalen, ornamental verzahnten Vorgängerserien, entsteht auch hier ein rhythmisches Muster. Allerdings wirken die schräg gesetzten Schnitte stärker durchtrennend als die Kerben, ein Minus an Kohäsion, das umgekehrt den Deutungsfreiraum erhöht.

So bleibt die Frage, worauf sich die „Palissades“ letztlich beziehen. Auf die Verdrängung der Natur? Auf den verstellten Blick? Auf die Einsicht, dass die Welt selbst bruchstückhaft-exemplarisch und mit genauem Hinsehen, wie Silvie Defraoui dies seit 1975 mit den „Archives du futur“ tut, kaum mehr zu fassen ist? Vielleicht sind die „Palissades“ so gesehen ein melancholisch gefärbtes Monument, ein Zaun der Erinnerung. Damit liesse sich ein Faden zurückspannen zum Frühwerk, in welchem die Natur symbolisch schon einmal wiederholt verabschiedet wird: zu Arbeiten wie den aus angesengten Ästen gebildeten Assemblagen „Les cendres“ (1975), den in Flachkartons archivierten „Jardins exotiques“ (1975–1979) oder auch den Requisit gewordenen Palmblättern aus „Poétique (Lieu de mémoire I)“ (1975), der Arbeit, mit der die „Archives du futur“ beginnen.

Astrid Näff

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