Acryl auf Papier, 60 x 42 cm
Ruedi Bechtler wurde 1942 in St. Gallen in eine Unternehmerfamilie hineingeboren, die sich sehr für moderne Kunst interessierte und engagierte. Sein Vater rief 1955 die Walter A. Bechtler Stiftung ins Leben, deren Zweck es bis heute ist, moderne Kunst im öffentlichen Raum zu platzieren. Auch Ruedi Bechtler war früh von der Kunst affiziert und begann schon bald leidenschaftlich Kunst zu sammeln. Einigen Sammlungsstücken weist er dabei einen sehr persönlichen Ort zu, indem er sie in seinem eigenen Hotel namens „Castell“ situiert. Dieses liegt auf einem Hochplateau im Engadiner Dorf Zuoz und verbindet auf virtuose Weise Kunstgenuss und Erholung. Seiner eigenen künstlerischen Tätigkeit wandte sich der ausgebildete Maschineningenieur bereits in den 1960er-Jahren zu. Sein Schaffen zeichnet sich durch eine grosse Vielfalt an Medien und experimentellen Ansätzen aus. Neben seinen Tuschzeichnungen, Fotografien, Holzobjekten, partizipativen Installationen, Brunnenobjekten, Lichtobjekten und Fundgegenstands-Assemblagen, schaffte er zwischen 1982 und 1985 die sogenannten Paper Cut-outs. Für diese Werkgruppe schneidet er aus einem Bogen festen Papiers Formen, Figuren oder ganze Szenografien aus. Einzelne Teile werden herausgeklappt, bemalt und akzentuiert. Wichtig ist, dass kein Material weggelassen oder hinzugefügt wird. Alles speist sich aus dem einen Bogen Papier.
2023 konnte das Aargauer Kunsthaus ein grösseres Konvolut von Arbeiten Ruedi Bechtlers aus der Walter A. Bechter-Stiftung ankaufen. Darunter befindet sich eine 21-teilige Paper Cut-out-Serie, woraus auch die vorliegende Arbeit stammt. Im Gegensatz zu anderen, sehr bunten und virtuos zugeschnittenen Exemplaren ist dieses Objekt eher schlicht gehalten. Teile des weissen Papierrandes wurden in feine Streifen aufgesplittet und schwarz bemalt. Von einem gelben, eingerollten cut-out-Element werden sie in der Mitte des Bildes zu einem Büschel gefasst und gehalten. Dieses dreidimensionale Gebilde mag vielerlei Assoziationen wecken – so mögen die schwarzen Bänder etwa an herausgezerrte Metallbänder von Tonkassetten erinnern.
Erstmals gezeigt wurde die vielteilige Serie 2022 im Kunsthaus Langenthal in einem luftig an die Wand gehängten Block, bestehend aus drei übereinanderliegenden Reihen. Jedes Blatt wurde durch Klammern an den oberen beiden Ecken an der Wand befestigt. Durch diese Methode der Aufhängung wird den Papierarbeiten freies Spiel gelassen. Klimatische Bedingungen sowie Bewegungen im Raum mögen dazu führen, dass sich die Blätter wölben, einrollen oder im Zuge der Luftzirkulation federnd von der Wand abheben. Diese ungezwungene Leichtigkeit passt zum Stil der Arbeiten, die zwischen kindlichen Scherenschnitt-Arbeiten und präzis durchdachten Reliefs changieren. So wirken die Arbeiten – wie auch viele seiner Skulpturen und raumbezogenen Installationen verspielt und gleichsam unaufgeregt selbstverständlich. So schrieb Eva Hess in dem Langenthaler Ausstellungskatalog 2022 zu Bechtlers Arbeiten treffend: „Sie haben keine Botschaft und keinen „Kontext“, sie verweisen nicht auf gesellschaftliche Gegebenheiten, weder loben noch kritisieren sie. Sie SIND. Sie bestehen aus Anreihungen, Spiegelungen, Ballungen, Ordnungsprinzipien, die in der organischen und anorganischen Welt spontan vorkommen.“
Julia Schallberger, 2024