Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.
X
Gerhard Richter, Schweizer Alpen, 1969
Serigraphie, 69.4 x 69.4 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau

Gerhard Richter ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts. 1932 in Dresden geboren, flüchtet er mit knapp dreissig Jahren zusammen mit seiner Frau aus der DDR in den Westen Deutschlands, wo er sich in Düsseldorf niederlässt. 1963 feiert er seine erste Ausstellung und schafft 1972 als Vertreter des deutschen Pavillons an der Biennale in Venedig den internationalen Durchbruch. Als Maler, Bildhauer und Fotograf schafft er gleichsam figurative wie abstrakte Werke, für welche er eine beeindruckende Bandbreite an Stilmitteln nutzt und entwickelt. Mit ästhetischen Ansätzen wie dem gezielten Einsatz von Unschärfe wird er zum Vorbild einer ganzen Generation. So trägt Richter nicht zuletzt als Kunsterzieher, Gastdozent und Professor an der Kunstakademie Düsseldorf von 1971 bis 1993 massgeblich zur Förderung und Entwicklung von Nachwuchskünstlern und -künstlerinnen bei.

Im Schaffen von Gerhard Richter bildet die Landschaft eines der Kernthemen. Der Künstler selbst sagt: «Wenn die ‚Abstrakten Bilder‘ meine Realität zeigen, dann zeigen die Landschaften meine Sehnsucht. » Diese Sehnsucht manifestiert sich in seinen Ansichten und Ausschnitten von Meeresküsten, Bergen und Tälern, Wiesen, Wäldern, Eisbergen, Sternen, Wolkenformationen und Stadtbildern. Zu Beginn der 1960er Jahre verwendet er als Vorlage erstmals fotografisches Material. Dieses stammt u.a. aus seinem «Atlas», den er 1962 anlegt und der neben Fotografien auch Zeitungsausschnitte, Entwürfe, Farbstudien, Landschaften, Porträts, Stillleben, historische Stoffe und Collagen beinhaltet. Gefundenes sowie eigenes Fotomaterial vergrössert er und überträgt es vorwiegend in Schwarz, Weiss- und Grautönen auf die Leinwand. Dabei verändert er den Gegenstand häufig durch einen reduzierenden, verwischenden oder gar vermalenden Duktus. Dadurch tritt nicht die Idee eines spezifischen, realistischen Abbildens in den Fokus, sondern die Betonung der gewählten Technik sowie das Schildern einer übergeordneten Vorstellung von Landschaft.

Auch das Bild «Schweizer Alpen» (1969) aus der Sammlung des Aargauer Kunsthauses basiert auf einer fotografischen Übersetzung. Es handelt sich dabei nicht um die „Abmalung» selbst, sondern um eine Serigrafie (Siebdruck) eines solchen Gemäldes. Das Blatt gehört zu einer fünfteiligen Gruppe, die in einer Auflage von 330 Stück gedruckt worden ist. Richter verbringt regelmässig Ferien in den Schweizer Alpen und so lassen sich in seinem «Atlas» auch zahlreiche Bergfotografien finden. Als Fotovorlage für diese Arbeit greift er auf Aufnahmen, die er 1968 aus dem Flugzeug bei einer Reise nach Mailand gemacht hat. Im Zuge der zweifachen Weiterverarbeitung hat der Künstler die gesehene Gipfelkette auf ihre markantesten Umrisse und Flächen reduziert. Die sonnenbeschienen Schneeflächen heben sich strahlendweiss von den durch einzelne Grautöne definierten Schattenhängen ab. Die Alpenlandschaft wirkt dadurch zeichenhaft markant. Diese kühne Darstellungsweise mag uns an die Pop Art-Ästhetik von Tourismusplakaten aus dieser Zeit erinnern. Die Ausschnitthaftigkeit verunmöglicht jedoch eine genaue örtliche Zuordnung.

Kurzum: Richter greift in diesem Werk den tradierten Topos der Berge in der Kunst auf. Dabei strebt er weder nach wissenschaftlicher Detailtreue noch nach der Erschaffung eines Naturidylls, wie wir es aus Darstellungen des 19. Jahrhunderts kennen. Vielmehr nimmt er den Faden der expressionistischen Malerei auf, die sich in den 1920er Jahren der Wiedergabe subjektiver Landschaftswahrnehmung verschrieben hatte und die damals mit Ernst Ludwig Kirchner zu einem Ende gekommen war.

Julia Schallberger, 2024

X