Öl auf Leinwand, 47 x 36 cm
Das Schaffen des in Trimbach und Basel aufgewachsenen Karl Otto Hügin (1887–1963) ist heute nur noch wenigen ein Begriff. Bekanntheit erlangt der Autodidakt zu Lebzeiten vor allem als Schöpfer von rund dreissig Fresken und Mosaiken an öffentlichen Gebäuden, die in den 1920er- bis 1940er-Jahren entstehen. Vergleichsweise spät rückt Hügins eigenwillige Tafelmalerei ins Bewusstsein, die der Künstler ab den 1910er-Jahren entwickelt. Aus diesem Œuvre verfügt das Aargauer Kunsthaus über eine grössere Werkgruppe unterschiedlicher Schaffensphasen. Das vorliegende Gemälde gelangt 1978 dank einer Schenkung der Freunde der Aargauischen Kunstsammlung gemeinsam mit zwei weiteren Werken in die Bestände des Museums. Die Verbindung zwischen Hügin und dem Aargauer Kunsthaus reicht allerdings bis in die frühen 1950er-Jahre zurück. Der Maler pflegt ab diesem Zeitpunkt engen Kontakt zum damaligen Konservator Guido Fischer, der Hügin 1960 seine erste Retrospektive widmet. Sie bleibt bis heute eine der wenigen Einzelausstellungen des Künstlers.
Beim Gemälde „Dorfidyll“ von 1918 handelt es sich um ein sehr frühes Werk; nur zwei Jahre zuvor beginnt Hügin nach einem Besuch bei Otto Meyer-Amden (1885–1933) mit der Tafelmalerei und geht allmählich zur Tätigkeit als freier Künstler über. Diese frühe Schaffensphase ist durch eine stilistische Experimentierlust gekennzeichnet, die von impressionistisch und expressionistisch gefärbten bis hin zu neusachlichen Tendenzen reicht. Diesem formalen Eklektizismus steht eine motivische Geschlossenheit gegenüber, die sich in der Wahl konventioneller Bildthemen wie Stillleben und Landschaften ausdrückt.
Mit hellem, frischem Kolorit und einer lockeren Pinselschrift erzeugt Hügin im Gemälde „Dorfidyll“ eine stimmungsvolle Wiedergabe der ländlichen Szenerie. Der einfache, arbeitende Mensch wirkt harmonisch in seine alltägliche Umgebung eingebettet und entbehrt als anonyme Rückenfigur jeglicher Individualität. Die Neigung zu einer gewissen Naivität in der Darstellung entspricht weitgehend einer künstlerischen Tendenz der Zeit zwischen 1910 und 1920. Verglichen mit Gemälden aus Hügins reifem Schaffen, das durch unkonventionelle Bildausschnitte und -kompositionen besticht, dominiert hier ein traditionelles Bildschema mit mittig verlaufender Horizontlinie und perspektivisch angelegter Diagonale vor einem gestaffelten Hintergrund. Einen überraschenden Akzent setzt der Künstler mit dem jungen Bäumchen im Vordergrund, welches das dahinter schreitende Pferd – den Protagonisten der Darstellung – vertikal in der Körpermitte durchtrennt und gleichzeitig das Bildfeld in zwei Hälften teilt. Es findet seine kompositorische Entsprechung im rechts aufragenden Strommast, der als Zeichen von industriellem Fortschritt auf das moderne Leben und den urbanen Raum verweist – beides sind Themen, die für Hügins späteres Schaffen bestimmend bleiben.
Raphaela Reinmann