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Augusto Giacometti, Frauenkopf (Bildnis meiner Tante Caterina), 1912
Öl auf Leinwand,
Aargauer Kunsthaus, Aarau / Depositum aus Privatbesitz
Fotocredit: Ullmann Photography (Timo Ullmann)

Augusto Giacometti (1877–1947) wurde im Bündner Bergdorf Stampa geboren und entstammte der renommierten Künstlerfamilie Giacometti. Er war ein Cousin zweiten Grades des bekannten Bildhauers Alberto Giacometti. Bereits mit knapp 30 Jahren erzielte er erste künstlerische Erfolge. Sein Schaffen entwickelte sich vom Jugendstil und Symbolismus hin zu einem vielschichtigen Werk, das heute als ein Höhepunkt der Schweizer Kunst des 20. Jahrhunderts gilt. Besonders mit seinen frühen Abstraktionen setzte er entscheidende Impulse für den Aufbruch der Moderne in der Schweiz.
Giacometti war ein Meister der Farbe und beschäftigte sich intensiv mit ihrer Materialität und Wirkung. In seinem Tagebuch hielt er im Alter von 59 Jahren fest: «Die Seele des Malers und des Bildes ist unbedingt das Farbige […].», ein Zitat, das seine künstlerische Philosophie prägnant zusammenfasst. Sein gesamtes Œuvre ist geprägt von der experimentellen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Farbe, die er auf vielfältige Weise erforschte und einsetzte.

Das vorliegende Werk «Frauenkopf (Bildnis meiner Tante Catarina)» (1912) verdeutlicht exemplarisch die Entwicklung zwischen 1910 und 1917, in der Giacometti eine Malweise erprobte, bei der er die Farbe in der Nachfolge des Pointillismus mosaikartig auf die Leinwand spachtelte oder malte und teilweise den roh Bildträger sichtbar liess. Kurze, pastose Farbstriche überziehen netzartig die gesamte Leinwand und verweben Figur und Hintergrund zu einem rhythmisch-vibrierenden Geflecht. In diesem fleckenhaften Farbauftrag ist die Malweise von Giacomettis heute bekanntesten Werken bereits angelegt, mit denen er den Realitätsbezug weitgehend aufgab und in die Ungegenständlichkeit vorstiess.

Wie viele seiner Bildnisse zeigt auch der «Frauenkopf» eine Nahsicht ohne begleitende Attribute. Das Porträt ist weniger auf die individuelle Darstellung der Tante Catarina ausgerichtet – wie der verallgemeinernde Haupttitel nahelegt – als auf das Zusammenspiel der Farben. Giacometti setzte warme und kühle Farbtöne kontrastreich nebeneinander. Die Haut, in Nuancen von Hellgelb über Ocker bis Hellbraun, harmoniert mit dem graugrünen Haar und dem rosa-blauen Hintergrund. Gleichzeitig erzeugen die Kontraste eine besondere Leuchtkraft. Die lebendige, beinahe schimmernde Oberflächengestaltung lässt den Kopf der Frau wie aus Licht modelliert erscheinen und überführt ein konventionelles Porträt in ein eindrucksvolles Fest der Farben. Giacomettis Bildauffassung steht dabei ganz im Zeichen der Moderne und spiegelt die Entwicklung der Porträtmalerei im Zeitalter der Fotografie: Anatomische Präzision und naturalistische Wiedergabe tritt zugunsten eines freieren Einsatzes der Bildmittel zurück. Die Farbe dient nicht mehr nur der Beschreibung des Gegenstands, sondern wird selbst zum zentralen Ausdrucksmittel.

Mit «Frauenkopf» schuf Giacometti ein Werk, das seine künstlerische Vision eindrucksvoll verkörpert. Die 2024 als Depositum aus Privatbesitz in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses aufgenommene Arbeit steht exemplarisch für Giacomettis innovative Farbgestaltung und seinen Beitrag zur Entwicklung der modernen Malerei in der Schweiz.

Nicole Rampa, 2025

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