Öl auf Hartfaserplatte, 205 x 262 cm
Patrick Rohner – 1959 in Rothenthurm im Kanton Schwyz geboren – studiert von 1983 bis 1985 an der Schule für Gestaltung in Luzern. Ab 1986 besucht er die Kunstakademie in Düsseldorf, wobei er den Meisterschüler-Status erlangt. 1991 zieht er zurück in die Schweiz nach Rüti, in ein kleines Dorf im Glarner Hinterland. Den Bergen, die bereits seine Kindheit geprägt haben, rückt er dadurch wieder näher und lässt sie zum zentralen Gegenstand seiner Malerei werden.
Bereits in Düsseldorf und in den ersten Jahren im Glarnerland verschreibt er sich einer abstrahierenden Landschaftsmalerei, wobei er sich in den folgenden Jahren immer stärker mit der Haptik und der Struktur der alpinen Landschaft, sprich der malerischen Umsetzung von geologischem Material auseinandersetzt. Auf seinen sogenannten „Begehungen“ – ausgerüstet mit Film- und Fotokamera – rückt er den Bergen förmlich zu Leibe. Er dokumentiert die Strukturen und Details von Abhängen, Felswänden, Gletscherfeldern, Karstlandschaften, Gesteinsbrocken und Geröllhalden, sowie Flussläufen, die sich durch die Gesteinsfurchen und Täler schlängeln.
In der Sammlung des Aargauer Kunsthauses befindet sich eine Reihe von Zeichnungen und Filmen sowie eine Fotoserie, wodurch die Naturbegegnungen und die Sichtweisen des Künstlers einsichtig werden. Letztlich sind es aber die reliefartigen Gemälde, wie das Bild „Nr. 211“ (2002-2003) oder das vorliegende Werk „Ohne Titel“ (1999), die den geschauten Naturphänomenen eine eigenständige Form und Bildsprache entgegensetzen. Sie werden denn auch zu Rohners Markenzeichen. Ausschnitthaft rückt der Künstler Oberflächendetails in den Fokus. Seine technische Herangehensweise scheint dabei wie eine Annäherung an die in den Bergen manifestierte Sedimentierung. So verzichtet der Künstler ab 1995 auf den Einsatz des Pinsels. Stattdessen trägt er mit einem breiten Spachtel grosse Mengen an Farbe in Schichten auf Leinwände und Hartfaserplatten auf. Zuweilen verlagert er die Farbe auch über mehrere Etappen zwischen verschiedenen Bildträgern. Dadurch wird Farbe nicht nur auf- sondern auch abgetragen und zwischen unterschiedlichen Werken verschoben. In diesem Sinne ergibt sich ein innerer Zusammenhang zwischen zeitnah entstehenden Bildern.
Die Farbschichten in den frühen Werken sind vornehmlich erdig-dunkel gehalten, während die späteren Gemälde nuancenreichere Farbtöne und Glanzeffekte von Steinen, Flechten, Fels- oder Bodenstrukturen wiedergeben. Das hier zu betrachtende Bild „Ohne Titel“ ist dabei ein besonders kontrastreiches Beispiel, bei dem sich hellblau-grau schimmernde Splitter sowie dunkelgrüne, an Moos erinnernde Bruchstücke von dem brasilroten Grund abheben. Wie das Bild zeigt, gelingt es Rohner, dem in der Natur vorhandenen Spektrum von kantig schroffen bis zu weich samtigen Oberflächen wirkungsstark nachzuspüren. Hinzu kommt, dass der Künstler jede kleine Veränderung an seinen Bildern akribisch auf Karteikarten festhält und damit der Transformation seiner Kunstwerke eine ähnliche Aufmerksamkeit zukommen lässt, wie sie die Wissenschaft geologischen Prozessen schenkt.
Julia Schallberger, 2024