Öl auf Leinwand, 135 x 41 cm
Das Aargauer Kunsthaus beherbergt eine repräsentative Werkgruppe von Hans Richter (1888–1976), die seine frühen kubistischen und seine späten ungegenständlichen Arbeiten sowie sein filmisches Schaffen umfasst. Der in Berlin geborene Maler, Grafiker, Kunsttheoretiker und Filmemacher zählt heute zu den bedeutendsten Pionieren des abstrakten Films.
Im schlanken, hochformatigen Gemälde „Orchestration der Farbe“ ordnet der Künstler auf schwarzem Hintergrund rote, gelbe, blaue, grüne Quadrate sowie Rechtecke unterschiedlicher Grösse und Ausrichtung an. Wichtig scheint Richter die Erzeugung von Bewegung und Rhythmus, was ihm durch die Anordnung und Farbwahl der geometrischen Formen gelingt.
In seinem Schaffen durchläuft er die wichtigsten Kunstströmungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er orientiert sich zunächst an einer kubistischen und expressionistischen Formensprache. Im Kubismus glaubt er das musikalische Ordnungsprinzip zu erkennen; seine Musikalität leitet ihn von Anfang an. In seinem Streben nach Abstraktion entwickelt er seinen persönlichen Kubismus. Ein Werk aus dieser frühen Schaffensphase ist „Cello“ (Inv.-Nr. 4620): Der Musiker mit seinem Instrument scheint durch die kubistische Formzergliederung und futuristische Dynamik hinter den Rhythmus der Formen zurückzutreten. Auf diesem Weg nähert sich Richter seinen ungegenständlichen Kompositionen an. Er setzt sich intensiv mit der Theorie des Kontrapunktes auseinander. Einen Gesinnungsgenossen findet er im schwedischen Maler Viking Eggeling (1880–1925), der ebenfalls nach einem ordnenden Prinzip in der Kunst sucht. Es entsteht eine künstlerische Zusammenarbeit, in der sie die Form des Rollenbildes entdecken. Über die Beschäftigung mit der chinesischen Schriftrolle stossen sie auf das Medium, das ihnen ermöglicht, die künstlerische Aussage auf elementarste abstrakte Zeichen zu reduzieren. 1919 erschaffen beide ihre ersten Rollenbilder. Durch die klare Anordnung der dargestellten Komponenten gelingt es ihnen, bei den Betrachtern ein Gefühl von Kontinuität zu erzeugen. „Orchestration der Farbe“ bildet die erste vertikale Rolle des Künstlers und ist der konstruktivistischen Malerei verpflichtet. Richter orientiert sich am Format des Films und versucht zusätzlich, die Farbe als Kompositionselement zu orchestrieren. Er kombiniert die Komplementärkontraste Rot-Grün und Blau-Gelb mit Schwarz, Weiss bzw. Grün zu einem flächigen Arrangement. Durch die grünen Quadrate, die sich nach oben verkleinern, erschafft er dennoch den Eindruck von Räumlichkeit. Über das Rollenbild und ihrer innewohnenden Dynamik gelangt Richter zum bewegten Bild. Zeitgleich mit dem vorliegenden Werk entstehen die ersten experimentellen Filme – „Rhythmus 21“ und „Rhythmus 23“ (vgl. Inv.-Nr. V6557, V6558) –, in denen Richter kinetische Kompositionen mit kontinuierlich sich verändernden geometrischen Elementen erzeugt. Mit dem Film eröffnen sich ihm neue Dimensionen, die es ihm erlauben, den statischen Charakter der Malerei zu überwinden und die Bewegung in der Zeit festzuhalten.
Karoliina Elmer