Acryl auf Leinwand, 200 x 250 cm
Die Sammlung des Aargauer Kunsthauses beherbergt eine umfangreiche Werkgruppe aus den formal und thematisch vielseitigen Schaffensphasen von Urs Lüthi (*1947). Bereits Anfang der 1970er-Jahre werden erste Papierarbeiten erworben, eine frühe Einzelausstellung des Schweizer Künstlers erfolgt 1979 im Aargauer Kunsthaus. Mit dem Ankauf des abstrakten Gemäldes Selbstporträt aus der Serie Telephonzeichnungen sind die Bestände, um eine Arbeit aus seiner Malerei der 1980er-Jahre erweitert worden.
Als 23-jähriger beginnt Urs Lüthi 1970 sich selbst zu fotografieren, die Selbstinszenierung und das Selbstporträt sind seither ein wichtiger Bestandteil seiner Kunst, in der er scheinbar unermüdlich versucht, das eigene Selbst, Emotionen und Sehnsüchte zu ergründen. Er verfolgt diese Themen nach einem Medienwechsel zur Malerei auch in den 1980er-Jahren intensiv und es entstehen Serien wie Selbstporträt aus der Serie der vagen Erinnerungen, (…) der Köpfe, (…) der vertauschten Träume, (…) der grossen Gefühle, (…) der Bilder für eine italienische Bar oder (…) der reinen Hingabe. Dabei werden die Sujets und die formalen Mittel facettenreich variiert, von Strichmännchen, fotorealistischen Darstellungen, altmeisterlichen Seestücken bis zu abstrakten Werken – ein unmittelbares Abbild des Künstlers fehlt im Gegensatz zu den fotografischen Inszenierungen der 1970er-Jahre. Im experimentellen Umgang mit dem Selbstbildnis erweitert Lüthi tradierte Konventionen dieser Gattung wie darstellende Qualitäten, erhebt es zur grossen Geste und schafft Projektionsräume für emotionale Themen, bricht dies aber wiederum durch Einfach-Alltägliches oder Nähe zum Kitsch.
Auch im grossformatigen Acrylgemälde Selbstporträt aus der Serie Telephonzeichnungen lässt sich kein direktes Abbild ausmachen. Der beige Bildgrund des Querformates ist überwiegend von schwarzen Flächen eingenommen, deren Konturen oft ornamental – sei es gezackt oder rund gestaltet – sind. Unterlegt sind diese Bildteile mit roten Flächen, vier Rechtecken, die durch das Schwarz hindurchscheinen, und zahlreichen geschwungenen Linien. Besonders sticht in der linken Bildhälfte eine hellblaue, schlingernde Linie hervor, die wie eine Spur von rinnender Farbe über dem Schwarz verläuft. Die Bildelemente zwischen Linie und Fläche, Transparenz und Deckkraft lassen an einen additiven, in Schichten angelegten Gestaltungsprozess denken. Ähnlich sukzessiv können mit schnellem Strich gemachte Kritzeleien beim Telefonieren als ein meist unbewusstes Nebenprodukt einer alltäglichen Kommunikationssituation entstehen. Die im Werktitel assoziierte kleine, banale Zeichnung unterläuft die grossformatige Arbeit ironisch – obwohl Lüthis Komposition ungleich präziser wirkt – ebenso wie die Erwartungshaltungen an oft bedeutungsschwere Selbstdarstellungen. 1986 bildet die Ausstellung Urs Lüthi: Sehn-Sucht im Kunstmuseum Winterthur, die erste, ausschliesslich aus Gemälden bestehende Schau des Künstlers, einen Höhepunkt seiner Erkundungen des Selbstbildnisses im Spannungsfeld zwischen Individuellem und Allgemeingültigem, Sehnsucht nach grossen Gefühlen und Trivialem mit den Mitteln der konzeptuellen Malerei.
Anna Francke