Öl auf Leinwand, 60 x 60 cm
Der Schweizer Maler René Acht (1920-1998) erstellte 1968 eine schematische Übersicht über seine künstlerische Entwicklung. Die Jahre 1951 bis 1955 ordnete er dem Begriffspaar «lyrisch-konkret» zu und notierte darunter die Worte «ungegenständlich», «Zen» sowie «Bissier». Die Bezeichnung «lyrisch-konkret» wählte Acht in Abgrenzung zur 1924 von Theo van Doesburg eingeführten Konkreten Kunst: Im Gegensatz dazu waren die geometrischen Konstruktionen und die ungegenständliche Ästhetik in Achts Werken mit symbolischer Bedeutung aufgeladen. Entscheidend für diese Schaffensphase war die Begegnung mit dem Künstler Julius Heinrich Bissier im Jahr 1951, aus der sich eine langjährige Freundschaft entwickelte. Gegenseitige Besuche und ein reger Briefwechsel zeugten vom gemeinsamen Anliegen einer metaphysischen Malerei, die die Bedeutung des menschlichen Beitrags zur geistigen und materiellen Schöpfung zu bestimmen suchte. Angeregt durch diese Freundschaft, intensivierte Acht seine Auseinandersetzung mit dem Zen-Buddhismus und der ostasiatischen Philosophie – Konzepte, die sowohl die Symbolik der «lyrisch-konkreten» Schaffensphase als auch sein gesamtes Werk prägten:
«Das Suchen […] führte mich zum östlichen Denken und damit zum Urgrund der Erkenntnisse. Angeregt dadurch versuche ich, das Wesen der Dinge zu erfassen und zu gestalten, ohne jedoch die Probleme Farbe, Form, Zeit und des Raumes zu vernachlässigen.»
Bei seiner Suche nach dem Wesen der Dinge spielte die Idee der Verbundenheit aller Lebensformen eine zentrale Rolle. Acht glaubte, dass diese Verbundenheit durch die Trennung des Menschen von der ihn bedingenden Natur verloren gegangen sei. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf unsichtbare, aber dennoch prägende seelische Spannungs- und Leidenszustände, die sich in einer Reihe von Zeichnungen und Ölbildern niederschlugen, die formal den späteren Minimalismus vorwegzunehmen schienen. In einem schriftlichen Selbstzeugnis hielt der Künstler fest:
«‹Verletzungen›, Spannungen schon seit 1952 dargestellt. Schon damals als etwas nicht in Ordnung, etwas das krank macht, etwas, das ausser Norm, ausser dem Gleichgewicht ist, empfunden.»
Das unbetitelte Ölgemälde (1953) ist ein Beispiel für die «lyrisch-konkrete» Phase. Feine rote, grüne und blaue Linien mäandrieren zwischen und neben einem schwarzen, in der Mitte unterbrochenen Balken. Die Linie, die die Form bildet und gleichzeitig die Fläche teilt, macht das Dualistische sichtbar. Nur die blaue und die grüne Linie finden ihren Weg durch das Loch im Balken. Die dritte rutscht ab, als hätte sie ihr Ziel verfehlt. Der Fluss ist unterbrochen, das Gleichgewicht gestört. Doch gerade in dieser Störung liegt das Potential zur Veränderung: Erst die Störung des Gleichgewichts kann einen Veränderungsprozess in Gang setzen. In diesem Sinne konfrontiert das Bild die Betrachtenden mittels einer reduzierten Formensprache mit dem inneren Prozess, der Suche und der Auseinandersetzung des Künstlers mit seinem Selbst.
Florian Brand, 2023