Farbstift und Ölstift auf Textil, Holz, Metall, Textblätter. Textsammlung in Zusammenarbeit mit Kamran Behrouz und Simon Noa Harder, 230 x 315 cm
Sabian Baumann (*1962) ist künstlerisch und kunstaktivistisch tätig. Präsentiert sich in der bildnerischen Arbeit „Normalität“ als fragiles Konstrukt, ruft die aktivistische Tätigkeit explizit zum Umdenken auf. Im Frühling 2018 initiierte Baumann „die grosse um_ordnung“, eine partizipative und transdisziplinäre Kunstaktion, die sich mit Ungleichheit und ihren strukturellen Bedingungen befasste. Die Forderung: Privilegien für alle. Die Arbeit „Tired Activist Gets Energy Upload By Good Ghost“ (2020) nimmt eine Scharnierfunktion zwischen den beiden Bereichen ein und darf deshalb als ein Schlüsselwerk gelten.
Das Werk hat die Form eines Transparents, auf dem weiss auf schwarz eine grosse Zeichnung angebracht ist. Das Banner verbindet die Strasse mit dem Galerieraum. Es wurde aber sabotiert. Die Trägerlatten liegen abgesägt vor dem Tuch, die Säge daneben. Wirklich funktionstüchtig ist das Banner so nicht mehr. Kann Aktivismus im Galerieraum überhaupt wirksam sein oder hat sich „The Tired Activist“ hier zurückgezogen? Die Darstellung selbst ist eine Verbildlichung vieler Anliegen von Baumann und vereint Referenzen, die für „die grosse um_ordnung“ von Bedeutung waren. Insbesondere betone die Arbeit, so Baumann, wie wichtig es ist, Bündnisse zu bilden – so wild und utopisch sie auch sein mögen. Warum also nicht aus der US-amerikanischen Dichterin und Menschenrechtsaktivistin Audre Lorde, aus Leslie Feinberg, einer Schlüsselfigur der Transgender- und der gesamten LGBTIQ-Bewegung, und der Peter-Pan-Figur Tinker Bell „eins“ machen? Audre Lordes Kopf steckt im Rumpf des Science-Fiction-Charakters Black Panther, der eigentlich König von Wakanda ist, einer technisch hochentwickelten Metropole im Norden von Afrika, die vorgibt, ein armes Land zu sein. Die andere Körperseite gehört dem grünen Ungeheuer Hulk, das durch Genmutationen Superkräfte entwickelt und eigentlich nur seine Ruhe haben will. Die Fee Tinker Bell wiederum hat männliche Geschlechtsteile und ein Bein, das auf Hermaphroditos, eine zweigeschlechtliche Gestalt aus der griechischen Mythologie verweist. Beim grossen Fisch, der an der nächtlichen Szenerie vorbeischwebt, handelt es sich um eine Spezies, die im Verlauf ihres Lebens das Geschlecht wechselt. Alle Blicke richten sich erstaunt, erwartungsvoll, vielleicht auch etwas fassungslos auf eine kleine Lache. Das Spiegelbild dieser vielköpfigen und vielgliedrigen Figur hat kapituliert, es streckt eine weisse Fahne mit einer Weltkugel darauf von sich. Das liegende Wesen mag auch jene*r im Titel genannte erschöpfte Aktivist*in sein: zwar genährt von der gebündelten Weisheit und Kraft sowie inspiriert vom „guten Geist“ der Referenzen, aber auch zur Einsicht gelangt, dass es ein „Wir“ als solches nicht gibt. Baumanns Ode ans „Queering“ oder „queer Reading“ ist eine Absage ans Normative, das gerade in den hier präsentierten Erzeugnissen der Populärkultur fest verankert ist.
Yasmin Afschar